Montag, 25. Februar 2013

Und die Weisheit waechst...

Hallo an alle meine Lieben aus Fern & noch ferner,
ich freue mich euch mitteilen zu koennen, dass mein erster Weisheitszahn vor wenigen Wochen das Licht der Welt erblickte. Ob Name Programm ist, das laesst sich nur vermuten. Auf jeden Fall gibt es immer jeden Tag vieles zu lernen und zu erfahren. Viele Dinge mit denen ich mich auseinandersetzten muss, zwischenmenschliches, Arbeitsituationen, Kritisches...der Alltag eben.
Schade, dass ich es nie schaffe, persoenlich immer mal was von mit hoeren zu lassen. Ich hab keinen Computer Zuhause, koennte da vielleicht eine passende Ausrede sein. :) Ich denke viel an euch und das ist keine Ausrede! Ueber so vieles denkt man nach und ueber jede einzelne Person. Ich denke, das verstaerkt sich nuneinmal, wenn man soweit weg ist und ich nicht mehr in direktem Kontakt mit euch bin. Ich freue mich immer, wenn ich etwas von euch hoere oder ihr mir auch immer gern Kommentare hier hinterlassen koennt.
Es ist schon wieder so viel Zeit vergangen und ich fuehle mich immer mehr und mehr angekommen und von der Stadt gefangen genommen, im positiven Sinne.
Gut, wo fange ich an?

Mein Tag beginnt, wenn um 5.50 Uhr mein Wecker klingelt und ich aus dem Bett stolpere. Zum Glueck kann ich nicht umfallen, denn mein Zimmer ist zu klein. Es hat kein Fenster, am Nachmittag muss ich erstmal ne halbe Stunde die Tuer offen lassen. Aber ich habe es mir schoen eingerichtet, sodass ich mich wohl fuehle. Ein Plastik´-originalgroessen Maenneroberkoerper, den ich auf der Strasse gefunden habe genau wie ein altes Saeulenstueck von einer Hausfassade, ausserdem ein grosses, altes Akt-Oelgemaelde, eine Origamilampe und ein kleiner Bonsai, bei dem ich mich wundere, wie er ohne Licht in meinem Zimmer so lang ueberleben kann und . Ich bin eh erst zu hause, wenn es schon fast dunkel ist und am Wochenende bin ich froh, wenn es noch dunkel ist am Tag, denn dann kann ich besser schlafen, wenn die Nacht mal wieder etwas zu lang wurde...und wenn nicht gerade die schrecklichsten Chartlieder aller Zeiten meines Mitbewohners auf voller Lautstaerke laufen...oder die Dueña, die Hausbesitzerin nicht wieder lautstark ihr Stimmorgan preisgibt...dann, ja dann laesst es sich auch wunderbar in den Tag hineinschlafen, sodass man sich aergert, dass man wieder nichts geschafft hat am Tag und man feststellt, dass es schon bald wieder dunkel wird. Die Sonne geht um 6.00 Uhr auf und im 18.00 Uhr unter. Immer. Jeden Tag. Wir geben uns immer grosse Muehe, etwas zu unternehmen oder wegzufahren am Wochenende, obwohl ich eigentlich immer sehr kaputt und muede bin von der Woche und mich auch freue abends durch die Strassen zu ziehen und Leute zu treffen.

Aber immerhin waren wir dieses Jahr schon ein Wochenende in Villavicencio, eine Stadt ca. 3 Stunden von Bogotá. Dort ist es sehr viel heisser und wir haben uns die Feria angeguckt, eine riesen Ausstellung ueber Landwirtschaft und Landleben. Dort gab es die fettesten Ochsen und Kuehe die ich je gesehen haben, in unterschiedlichsten Formen und Farben. Auch ganz viel andere Tiere, von Kaninchen, bis Pfauen, bis Fischen. Dann gab es Pferdetrabenwettbewerbe mit verschiedenen Gangarten und stolz herausgeputzen Pferden und Reiter. Wenn die Pferde alles richtig und gut machen dann gibt es einen schoenen Rhythmus auf dem Holzboden: klackklackklackklackklack....
Ausserdem haben wir uns mit schlechtem Gefuehl "coleo" angeguckt, eine Volkssportart bei der jeweils zwei Pferde mit Reitern und ein Ochse in eine Rennbahn gelassen werden. Im rasanten Tempo versuchen die Reiter dann den Stier einzuholen, um ihn am Schwanz zu packen und ihn zu Boden zu zerren. Eine sehr fragwuerdige Sportart, aber die Kolumbianer gehen da voll drauf ab und jubeln und schreien.
Ein kleiner Videoeindruck:



Schlafen konnten wir bei alten Bekannten von Joana, denn sie hat die ersten vier Lebensjahre in Villavicencio gewohnt. Alles war praktisch und schoen und eine gute Sache, Bogota fuer ein paar Stunden zu entfliehen.

Ueber meine neue Wohnung in der Candelaria, kann ich mich aber auch nicht beschweren.
Ich wohne hier mit noch fünf Leuten zusammen. Drei Kolumbianer, einer der ständig lernt, der andere der immer Chartmusik hört und dazu immer mitsingt und einer der fast nie da ist, weil er beruflich viel reisen muss. Ausserdem noch einen Argentinier, der hier für ein Semester studiert und mit dem wir auch eigentlich am meisten zu tun haben und manchmal zusammen weggehen und natuerlich die liebe Joana, meine Mitfreiwillige. Vom langen Flur und der Gemeinschaftsküche gehen die Zimmer ab. Ich bin hier glücklich und fuehle mich wohl, obwohl es manchmal reinregnet oder man mit den typischen WG Tücken zu kämpfen hat. Auch Kevin ist gerade umgezogen, in eine kleine WG zwei Strassen weiter und da mal wieder das Handy nicht funktioniert und er auch kein Internet hat, besteht die Kommunikation aus besuchen und an der Tür klopfen.
Mein Zimmer

Der Eingangsflur

Waesche aufhaengen..

Kueche

Wenn wir dann morgens zur nächsten großen Straße laufen, kommen uns alle Studenten entgegen, die zu ihrer Uni gehen und wir passieren den Plaza Bolivar, den Hauptplatz Bogotas. Mit dem Tuch vor dem Mund schuetze ich mich vor den stinkenden Abgasen und wir warten, bis der richtige Bus vorbeikommt. Nur ist das manchmal sone Sache. Zu Anfang als wir ein bisschen experimentiert haben  sind wir manchmal sonst wo rausgekommen, aber wir sind immer angekommen. Ganz ganz selten kommt ein Bus der direkt bis vor unsere Arbeit faehrt. Dann ist aber Glückstag. Bis jetzt hatten wir nur dreimal das Glück. Schade, es gibt ja keinen Fahrplan und man weiß nie wann denn jetzt diese Busse fahren. So müssen wir dann einmal umsteigen, wenn wir in der Ciudad Bolivar sind und den Berg hoch müssen, um zu unserem Projekt zu kommen. Normalerweise bezahlt man fuer den Bus 1 450 Pesos (ca. 60 Cent) und kann so lange fahren, wie man will, bis wir irgendwann bemerkt haben, dass man fuer kuerzere Strecken nur 1000 Pesos zahlen muss. Das hat uns gefreut, weil wir dann einiges sparen konnten, wenn wir mal einen zweiten Bus zum Projekt hoch genommen haben. Aber vor kurzem haben die dann auch endlich mitbekommen, dass man eigentlich immer fuer 1000 Pesos fahren kann. Fragt mich nicht warum, die einzige Sache ist, dass man ein wenig mit dem Busfahrer kommunizieren muss, wenn man an der Strasse steht. Man zeigt dann einfach mit den Fingern wieviel man zahlen will. Wenn Joana und ich also an der Strasse stehen, zeigen wir zwei Finger. Wenn wir zu dritt sind drei, usw...Dann haelt der Bus an oder eben nicht. Aber meistens tut er das.

Die Zeit vor und nach Weihnachten mussten wir ein bisschen improvisieren, weil die Kinder in den Ferien waren und wir uns somit anderen Aufgaben widmen mussten. Uns wurde ein neues Haus gesponsort, gleich neben dem Hauptgebaeude. Da ist jetzt das Medico Centre hineingezogen und auch einige Bueros sollen dorthin verlegt werden. Wir haben hunderte Medikamente, Globulis, Ampullen und Salben alphabetisch sortiert und ein Inventar angefertigt. Ich fand es ganz interessant, weil fast alles homöopathische oder anthroposophische Medikamente waren und meistens noch auf Deutsch, weil wir die aus Deutschland bekommen. Wir haben viel in der Kueche geholfen, denn auch die wurde komplett renoviert und wir haben alle Toepfe und sonstige Kuechenutensilien geschrubbt.
Wir sind ehrlich gesagt nicht immer zufrieden mit unserer Arbeitssituation und unserer Stellung als Freiwillige. Es gibt hier und da Probleme, aber auch die lernen wir zu bewaeltigen. Gern wuerde ich mich viel mehr aeussern, viel mehr sagen, was mir nicht passt oder mehr argumentieren, aber sprachlich geht das alles noch nicht ganz so gut und nicht so tiefgruendig. Bald muss ich aber wieder einen Zwischenbericht schreiben, da werde ich das nochmal genauer beschreiben.

Nach ca. einer Stunde Busfahrt, geht es um 7.30 Uhr schon los mit den PAES-Kursen. Ich bin in diesem Zyklus (immer 8 Wochen) sogar zweimal am Tag in den Kursen. Vormittags bin ich im Tejido, da sind gerade die ganz kleinen Kinder, also von sechs bis acht Jahren. Wir haekeln mit den Fingern Taschen und Schals, das ist nicht zu schwer fuer die kleinen und foerdert die Motorik. Dabei wird viel erzaehlt und gesungen. Einmal habe ich sogar die Kursleiterin vertreten als sie beim Arzt war, gar nicht so einfach, aber ich denke, ich hab das ganz gut gemeistert. Um 9 gibt es fuer die Gruppen einen kleinen Imbiss und wir machen den Essensraum von 66 Kindergartenkinder sauber. Danach gehen wir in die Bibliothek, wo schon die Kinder warten, dass sie Hilfe mit ihre Hausaufgaben bekommen. Eine schoene Zeit finde ich, weil man mal ganz in Ruhe sich einem Kind widmen kann. Danach koennen wir in der Zeit von 11.00-12.00 bei den verschiedenen Kursen von den Professoren fuer die Professoren teilnehmen. Dienstag Fitness, Mittwoch Handarbeit, Donnerstag Portugiesisch und Freitag Malen und Zeichnen. Nach dem Mittag und dem Comedor saeubern gehts entweder in die Schlafwache der Kindergartenkinder oder man bleibt zum wischen im Comedor. Die Schlafwache ist immer sehr entspannt. Manchmal schlafen sie so seelenruhig, dass ich mir auch gerne eine kleine Mittagspause goenne bis es um 14.30 wieder mit dem zweiten PAES-Kurs losgeht. Am Nachmittag bin ich im Musik-Kurs. Die Kinder sind schon etwas aelter und wir studieren verschiedene kolumbianische Rhythmen mit verschiedenen Instrumenten ein. Ich kann helfen, wenn wir Trommeln oder manchmal habe ich 3-4 Kinder, mit denen ich die Stimme fuer die Melodik-Instrumente einuebe. Das geht gut und das macht mir Spass, weil ich merke, dass man mir Verantwortung uebertraegt und ich wirklich eine Unterstuetzung sein kann.
Am Schluss des Tages waschen wir noch das Geschirr vom Kindergarten und den PAES Kursen ab und um 16.30 sind wir meistens draussen und warten auf den Bus.
Eine Stunde Fahrt und ein bisschen laufen, dann sind wir Zuhause. Dreimal in der Woche mache ich Workshops in einer Fundacion bei mir um die Ecke. Ich habe mich dort nach langem Ueberlegen wegen der riesen Auswahl, fuer zwei Monate fuer die Kurse Keramik, Afro Dance und Salsa entschieden. Alle Kurse sind toll und ich gehe gerne hin.
Bei Keramik legt der Professor besonders Wert darauf, dass wir mit Pachamama arbeiten, also mit Mutter Erde. Es ist irgendwie ein wuerdevolles, inspirierendes und spirituelles Arbeiten. Wir muessen viel reflektieren oder sogar ueber unsere Arbeiten und Erfahrungen Texte schreiben. Wir haben auch die Moeglichkeit mit der Toepferscheibe zu arbeiten, was mich besonders reizt und mich fasziniert.
Afro Dance kann ich mit  zwei Woertern beschreiben: Power und Energie. Wir haben zwei Live-Trommler und zwei Perkussionisten, das bringt eine mega Energie und es macht so Spass dazu zu tanzen, allerdings ist es auch sehr anstregend und ich hab jedesmal Muskelkater. Zum Teil sind es ganz ungewohnte Bewegungen, die wir in unserem Kulturkreis gar nicht kennen und es faellt mir besonders schwer sie umzusetzen und manchmal fuehlt man sich schon etwas tollpatschig und guckt vielleicht lieber nicht in den grossen Spiegel :)
Am Samstag ist Salsa, allerdings ist es wirklich sehr basico. Ich haette erwartet auf viele Auslaender zu stossen, weil ich ueberzeugt war, dass hier sowieso jeder Salsa tanzen kann.Ich bin davon immernoch ueberzeugt, die Leute die da sind fehlt einfach nur die praktische Erfahrung. Tanzen gelernt habe ich in einer Bar bei uns in der Naehe, dem Rincon Cubano. Hier sind wir seit geraumer Zeit fast jede Woche, mindestens einmal. Und das trainiert, denn das ist Praxis! Es ist kein schoener Raum, schummriges Licht, kaputte Stuehle, billiges Bier. Aber genau hier versammeln sich mit die besten Taenzer der Stadt, die leidenschaftlichen Taenzer. Trotzdem ist ein zusaetzlicher Kurs nicht schlecht, obwohl ich persoenlich fuer mich noch nicht ganz soviel neues mitnehmen konnte, aber jetzt verstehe ich die Technik: Wie ist der Salsa aufgebaut, welche Schritte gibt es ueberhaupt genau, wie und wann funktionieren die Drehungen, usw...

Es gibt hier in der Candelaria also schon einige Orte und Bars, die wir gern besuchen oder zumindest mal "vorbeigucken". Man kennt sich, die Welt ist ja sowieso klein und es ist irgendwie schoen nicht mehr anonym in einer 12 Millionen-Stadt zu sein.

Morgen gehts fuer uns drei Freiwillige raus aus der Hauptstadt, um zwei weitere wichtige Ballungsgebiete Kolumbiens kennenzulernen, denn am Freitag beginnt unser Zwischenseminar mit allen Freiwilligen, die gerade von meiner Organisation hier sind. Wir treffen uns alle in Cali und fahren dann zusammen nach Medellin. Wir haben freundlicher Weise von unserer Corporacion schon frueher frei bekommen, so koennen wir noch drei Tage vorher das Umland von Cali erkunden. In acht Stunden geht der Flieger. Aber nur  mehr oder weniger einen Plan, wo es uns hintreibt. Bisher wurde ich aber von der Spontanitaet noch nie enttaeuscht.
Danach gibts dann wieder Urlaubs- und Seminarsimpressionen,
bis dahin,
hasta luego,
eure Janka